Klagen/Urteile

Spektakuläre Klagen und Urteile

Weltweit wurden etwa 1.500 Klimaklagen von Klimaschützern eingereicht (Stand April 2020). Hier finden sich Kurzübersichten sowie ausführliche Erklärungen zu verschiedenen Urteilen und Klageverfahren nach Jahreszahlen geordnet.

Kurzübersichten zu Klagen aus dem aktuellen Jahr und dem davor liegenden Jahr: siehe Startseite

 

2024

 

Rechtbank Den Haag stoppt geplante Gasbohrungen vor Borkum

23.04.2024 (ah)Der Gaskonzern One-Dyas plant im Wattenmeer Gas zu fördern. Dafür sollt eine Plattform errichtet und Kabel verlegt werden. Das niederländische Wirtschaftsministerium hatte für das Unterfangen die Lizenz erteilt. Die Proteste mehrten sich, 2023 wurde dagegen ein Eilverfahren eingereicht.

Das Urteil von dem Verwaltungsgericht in den Haag vom 18.04.2024 hat die Planungen für die Gasbohrungen gestoppt. Allerdings verbietet der Rechtsspruch „nur“ die Errichtung der Bohrplattform. Die möglichen schädlichen Folgen der Bauarbeiten für Natur und Tiere seien nicht ausreichend untersucht worden, befand das Gericht. Der zu erwartende erhöhte Stickstoff-Ausstoß könne schädliche Folgen für ein Naturschutzgebiet auf der niederländischen Wattenmeerinsel Schiermonnikoog haben. Auch die Folgen für Seehunde seien nicht ausreichend geprüft worden, so das Gericht. Die Genehmigung zur Gasförderung ist von dem Urteil nicht betroffen. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

Gegen den fossilen Konzern One-Dyas, hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) gemeinsam mit der Bürgerinitiative Saubere Luft Ostfriesland, der niederländischen Organisation Mobilisation for the Environment (MOB) und der Stadt Borkum geklagt. Die DUH will nun auch rechtliche Schritte gegen Ölbohrungen auf der Förderplattform Mittelplate im Nationalpark Wattenmeer einleiten.

 

EGMR: Schweizer Klimaklage Klimaschutz ist Menschenrecht

16.04.2024 (ah) Das grundlegendste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Deshalb erscheint es logisch den Klimaschutz zu einem Teil der Menschenrechte zu machen. Ein Klima sollte lebens- und gesundheitsförderlich sein und nicht totbringend. Derzeit kippt aber genau dieser Anspruch aufgrund der zunehmenden Erderwärmung, wogegen die meisten Länder unserer Erde zu wenig unternehmen.

Schon jetzt sterben viele tausend Menschen im Jahr aufgrund extremer Hitze. Dürren und Überschwemmungen vernichten Ernten, gefährden und nehmen Leben, erschweren eine ausreichende sowie gesunde Ernährung und führen zur Verteuerung von Lebensmitteln. Die Klimakrise ist die Ursache für Einschränkungen in grundlegenden Bedürfnissen von Menschen.

Ein internationales Gericht, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), stellte aufgrund einer Verbandsklage am 9.04.2024 fest: Menschen haben einen Rechtsanspruch auf Klimaschutzmaßnahmen ihres Staates. Die Emissionsbegrenzungen sind damit nicht nur eine Verpflichtung der Staaten untereinander, die Bürgerinnen und Bürger haben mit dem Urteil einen Rechtsanspruch darauf. Die Menschenrechtskonvention stammt aus dem Jahr 1950 und thematisierte den Klimawandel nicht. Der Artikel 8 der Menschenrechtskonvention „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“, umfasst nun auch einen Anspruch von Bürgerinnen und Bürger auf Schutz vor den schädlichen Auswirkungen des Klimawandels.

Geklagt hatten die Schweizer KlimaSeniorinnen gegen die Schweizer Regierung. Die Arbeit an den Klageverfahren begann 2015, als die Organisation Urgenda vor einem Gericht in den Niederlanden eine Klage gewann und die niederländische Regierung zu mehr Klimaschutz verurteilte. Greenpeace in der Schweiz hatte die Idee für eine ähnliche Klage in der Schweiz. Für die Klagebefugnis war ein Nachweis der Betroffenheit durch die Regierungspolitik Voraussetzung. Die Klimakrise betrifft alle, jedoch zeigen Studien, dass besonders ältere Menschen und vor allem Frauen besonders oft in Hitzewellen sterben. Greenpeace suchte deshalb nach engagierten, ggf. älteren Frauen, die klagen würden. Sie stießen auf Rosmarie Wydler-Wälti damals engagiert im Netzwerk Großmütterrevolution. Gemeinsam mit vier weiteren Frauen gründete sie die Klimaseniorinnen und begann die Klageverfahren.

Die Gerichte in der Schweiz, wiesen die Klagen immer wieder ab. Deshalb zog die Initiative vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und bekam nun Recht. Wydler-Wälti (74 Jahre), Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, mit mittlerweile 2.000 Mitgliedern in einem Durchschnittsalter von 73 Jahren, berät inzwischen Initiativen zu weiteren Klagen in anderen Ländern. Denn mit diesem Urteil ist einiges ins Rollen gekommen. Das EGMR-Urteil ebnet den Weg für Klagen gegen die Mitgliedsstaaten des Europarats. Das bedeutet möglicherweise Klagen in 46 Staaten, zu denen ggf. auch Deutschland gehört.

Um eine Flut Individualklagen zu verhindern hat der EMGR verfügt nur Verbandsklagen und keine Klagen von Einzelpersonen zuzulassen. Voraussetzung ist zuvor auch der Weg durch die nationalen Instanzen. Erst danach kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden.

https://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar-klimaklage-egmr-100.html

 

OVG Münster: Landesentwicklungsplan NRW in vielen Teilen unwirksam

22.03.2024 (ah) Der BUND, Landesverband NRW hat gegen das Land NRW geklagt und im August 2020 ein Normenkontrollverfahren angestrengt. Dies ist die erste Umweltverbandsklage gegen einen Landesentwicklungsplan (LEP). Ziel war, die im Juli 2019 erlassene „Verordnung zur Änderung des Landesentwicklungsplans“ für unwirksam erklären zu lassen. U.a. wurde mit der Verordnung das bisherige Ziel, den Flächenverbrauch auf 5 ha pro Tag zu begrenzen, gestrichen. Der BUND, vertreten durch Rechtsanwalt Dirk Teßmer, kritisierte die Änderung des LEP würde vorwiegend der Umsetzung politischer Vorgaben dienen. Eine Ermittlung und Abwägung der Umweltfolgen wurde dabei nahezu vollständig unterlassen.

Eine Mängelrüge, eingereicht bei der Landesplanungsbehörde, flankierte die Klage. Auf 28 Seiten wurden Verfahrensfehler sowie Mängel bei der Abwägung konkreter Vorgaben des LEP aufgeführt. Besonders in der Kritik vom BUND steht der Flächenfraß. Die Streichung des vorherigen Reduktionszieles, zum Flächenverbrauch würde die Tür für weiteren Flächenfraß öffnent. Als Beispiele nannte der BUND Erleichterungen für die Siedlungsentwicklung sowie Industriegebiete im Freiraum und den Verzicht auf Steuerungsmöglichkeiten bei Abgrabungsvorhaben.

Nach der mündlichen Verhandlung am 21.03.2024 gab der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Landes NRW dem Antrag des BUND in weiten Teilen statt. Viele Regelungen zur Änderung des Landesentwicklungsplans, noch von der früheren CDU/FDP-Landesregierung verabschiedete, wurden für unwirksam erklärt. Der Normenkontrollantrag bezog sich auf 16 im LEP geänderten Ziele und Grundsätze, die zu Lasten von Belangen eines nachhaltigen Natur- und Freiraumschutzes gingen. Zwölf dieser Ziele und Grundsätze erklärten die Richter für unwirksam. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Thomas Krämerkämper, stellvertretender BUND-Landesvorsitzender sagte: „Das Urteil ist ein großer Erfolg für unseren Umweltverband. Damit ist klargestellt, dass keine Landesregierung unreflektierte politische Planungsziele ohne die Ermittlung der Umweltauswirkungen und ohne Beachtung der Beteiligungsrechte von Fachleuten und Betroffenen durchpeitschen kann.“

Dirk Teßmer, Rechtsanwalt erklärte: „Mit dem wegweisenden Urteil in diesem Präzedenzfall wird klargestellt, welche Anforderungen an die Ermittlung von Umweltbelangen und eine Rechtfertigung deren Beeinträchtigungen bei der Aufstellung eines Landesentwicklungsplan zu stellen sind.“ (Az.: 11 D 133/20.NE) Mehr

 

2023

Neues Bundeswaldgesetz geplant – Argumente gefragt

17.11.2023 (ah) Derzeit in vielen Diskussionen steht der Plan für ein neues Waldgesetzt, sowohl bundesweit als auch in verschiedenen Ländern. Eine Novellierung ist dringend geboten, angesichts des Klimawandels, die den Wald allerorts stark geschädigt haben. Das Bundeswaldgesetz trat am 2. Mai 1975 in Kraft. Eine Neuausrichtung ist dringend geboten, die den Walderhalt in den Fokus nimmt. Dabei spielen auch zurückliegende Urteil eine wichtige Rolle.

1990: Staatliche Forstpolitik dient dem Walderhalt – Bundesverfassungsgericht (BVG)

Gegenstand des Klageverfahrens war das Absatzfondsgesetz. Durch das Absatzfondsgesetz wurde eine Abgabe eingeführte, die von Betrieben der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft für einen Absatzfonds erhoben wird. Der Fond soll den Absatz und die Verwertung der Erzeugnisse der genannten Wirtschaftszweige fördern.

Ein Inhaber einer Versandschlachterei in Hannover wurde vom Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft für das erste und zweite Tertial 1980 zu Beiträgen gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 9 AbsfondsG in Höhe von 1.736,– DM und 1.769,60 DM herangezogen.

Dagenegen klagte der Inhaber. Er machte geltend, die Abgaberegelung verstoße gegen das Grundgesetz und europäisches Gemeinschaftsrecht und  beantragte, das Verfahren auszusetzen sowie eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. In der Urteilsbegründung findet sich folgendes Zitat: 

„Die Forstpolitik der Bundesregierung ist weniger auf Marktpflege ausgerichtet; sie dient vor allem der Erhaltung des Waldes als ökologischen Ausgleichsraum für Klima, Luft und Wasser, für die Tier- und Pflanzenwelt sowie für die Erholung der Bevölkerung (Agrarbericht, a. a. O., S. 104 ff.). Neben den wirtschaftlichen Nutzen des Waldes tritt gleichrangig seine Bedeutung für die Umwelt (vgl. §§ 1.6 des BGBl. S. 1037). Die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatwaldes, der 58 % der Waldfläche in der Bundesrepublik ausmacht, dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse. Die staatliche Forstpolitik fördert im Gegensatz zur Landwirtschaftspolitik weniger die Betriebe und die Absetzbarkeit ihrer Produkte als vielmehr die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.“

Quelle: Urteilsbegründung BVerfG, Beschluss vom 31. Mai 1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, -, BVerfGR 82, 159-198, Rn 117,118 (juris)

auch Rn. Nummer: 110, 111  Das Fallrecht (DFR), hrsgg. v. A. Tschentscher: https://www.servat.unibe.ch/dfr/bvr84217.html.


Europäischer Gerichtshof – 32 Länder verklagt von Kindern und Jugendlichen 

28.09.2023 (ah) Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg wurde am Mittwoch, den 27.09.2023 eine Klage von sechs Kindern und Jugendlichen gegen 32 europäische Staaten verhandelt.

Die Klage fordert mehr Klimaschutz von den Ländern. Deutschland ist auch darunter. Die Ukraine hätte auch verklagt werden müssen. Wegen des russischen Angriffskrieges soll das Land jedoch außen vor bleiben, beschlossen die KlägerInnen.

Die jungen Menschen aus Portugal im Alter zwischen 11 und 24 Jahren werfen den europäischen Ländern vor, die Klimakrise verschärft zu haben. Damit würde schon jetzt der Alltag der Menschen verändert, oft negativ, z.B. durch übermäßige Hitze, die das Lernen und Arbeiten erschwert. Die Zukunft ihrer Generationen sehen die KlägerInnen als gefährdet an.

Rund 80 Anwälte waren im Gerichtssaal anwesend. Die KlägerInnen lassen sich von sechs Anwälten vertreten. Ein Urteil ist wohl im nächsten Jahr zu erwarten.


Gas-Pipeline vor Rügen – Eilverfahren gegen stattfindende Arbeiten abgelehnt

20.09.2023 (ah) Die Pipeline soll fossiles Erdgas vom LNG-Terminal in Mukran nach Lubmin transportieren, um es dort in das Gasnetz einzuspeisen. Seit einigen Wochen wird gebaggert. Das Bergamt in Stralsund hat die Arbeiten genehmigt. Allerdings ist das Gesamtprojekt noch nicht genehmigt worden.

Aus Sicht des NABU werden so Tatsachen geschaffen, weil die Arbeiten teilweise irreversible Umweltschäden anrichten.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig lehnte am 15.09.2023 einen Antrag des NABU Mecklenburg-Vorpommern auf einen sofortigen Baustopp im Greifswalder Bodden ab. „Die Argumentation des Gerichts ist für uns an vielen Stellen nicht nachvollziehbar, zumal die Entscheidung bereits vor Ablauf unserer Begründungsfrist ergangen ist. Außerdem konnte der NABU bislang keine Einsicht in verfahrensrelevante Akten nehmen, kritisiert NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger.

Der gesetzliche Biotopschutz wurde vom Tisch gewischt und der Habitatschutz vernachlässigt urteilt Münchberger. Technisch möglich wäre eine Nutzung der bereits verlegten und identischen Röhren der Pipeline Nord-Stream 2 gewesen, ebenfalls in Lubmin endend. Kosten, Bauzeit und Umweltauswirkungen im Greifswalder Bodden hätten minimiert und fast vollständig eingespart werden können. Warum diesbezüglich mit der inzwischen in Auflösung befindlichen Betreiberfirma Nord Stream 2-AG keine Verhandlungen geführt wurden, erklärt sich nicht, erklärt die NABU-Pressemeldung


Bundesverwaltungsgericht Leipzig: § 13b Baugesetzbuch unvereinbar mit EU-Recht Umweltprüfung ist notwendig

18.07.2023 (ah) Um dem bestehenden Wohnraummangel zu begegnen führte der Gesetzgeber den § 13b Baugesetzbuch (BauGB) im Jahr 2017 ein und verlängerte ihn im Jahr 2019. Festgelegt wurde ein sog.  beschleunigtes Verfahren bei dem kleine Freiflächen weniger als 10.000 Quadratmetern (1 Hektar)  außerhalb der Siedlungsfläche ohne Umweltprüfung und ohne eine Ausweisung von Kompensationsflächen überplant werden dürfen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied am 18.07.2023 gegen diesen Paragrafen: Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde dürfen nicht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB ohne Umweltprüfung überplant werden.

Eine Umweltvereinigung, anerkannt gemäß § 3 UmwRG, wendete sich mit einer Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan. Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin beinhaltete die Festsetzung eines (eingeschränkten) allgemeinen Wohngebiets für ein ca. 3 Hektar großes Gebiet am südwestlichen Ortsrand der Gemeinde im planungsrechtlichen Außenbereich. Er wurde im beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB ohne Umweltprüfung aufgestellt. Den Normenkontrollantrag wies der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim als unbegründet ab. Begründung: Die Durchführung des beschleunigten Verfahrens begegne keinen Bedenken. § 13b BauGB sei mit der SUP-Richtlinie vereinbar, seine Tatbestandsvoraussetzungen lägen vor.

Die Umweltvereinigung klagte weiter vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, welches das Urteil aufhob und den Bebauungsplan für unwirksam erklärte.

Begründung: Der Plan leidet an einem beachtlichen Verfahrensfehler im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Er wurde zu Unrecht im beschleunigten Verfahren nach § 13b Satz 1 BauGB erlassen. Die Vorschrift verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 der SUP-RL. Art. 3 Abs. 1 SUP-RL verlangt eine Umweltprüfung für alle Pläne nach den Absätzen 2 bis 4, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben. Ob dies der Fall ist, bestimmen die Mitgliedstaaten für die in den Absätzen 3 und 4 genannten Pläne entweder durch Einzelfallprüfung, Artfestlegung oder eine Kombination dieser Ansätze (Art. 3 Abs. 5 SUP-RL). Der nationale Gesetzgeber hat sich in § 13b BauGB für eine Artfestlegung entschieden. Diese muss nach der Rechtsprechung des zur Auslegung des Unionsrechts berufenen Europäischen Gerichtshofs gewährleisten, dass erhebliche Umweltauswirkungen in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber darf sich demnach nicht mit einer typisierenden Betrachtungsweise oder Pauschalierung begnügen.

Diesem eindeutigen und strengen Maßstab im EU-Recht wird § 13b Satz 1 BauGB nicht gerecht. Anders als bei Bebauungsplänen der Innenentwicklung nach § 13a BauGB, die der Inanspruchnahme von Flächen außerhalb des Siedlungsbereichs entgegenwirken sollen, erlaubt § 13b BauGB gerade die Überplanung solcher Flächen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13b Satz 1 BauGB – Flächenbegrenzung, Beschränkung auf Wohnnutzung sowie Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil – sind nicht geeignet, erhebliche Umwelteinwirkungen in jedem Fall von vornherein auszuschließen. Das gilt aufgrund der ganz unterschiedlichen bisherigen Nutzung der potenziell betroffenen Flächen und der Bandbreite ihrer ökologischen Wertigkeit.

Das Unionsrecht hat Vorrang. Deshalb darf § 13b BauGB nicht angewendet werden. Die Antragsgegnerin hätte nach dem Regelverfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans eine Umweltprüfung, einen Umweltbericht erstellen und der Begründung des Bebauungsplans beifügen müssen. Dieser beachtliche, vom Antragsteller fristgerecht (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) gerügte, Verfahrensmangel hat die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge. Aktenzeichen: BVerwG4 CN 3.22. Vorinstanz: VGH Mannheim, Urteil vom 11. Mai 2022, VGH 3 S 3180/19

Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts; Link zur Entscheidung: https://www.bverwg.de/180723U4CN3.22.0


Keine öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht für Bäume im Wald

30.06.2023 (ah) 2018 fuhr der Kläger in NRW mit einem Fahrrad auf einem Rad-/Wanderweg, der entlang eines Baches verläuft. Plötzlich brach die Baumkrone aus einer am Wegesrand stehenden Eiche in ca. 6 bis 7 Meter Höhe ab. Der Kläger erlitt hierdurch erhebliche Verletzungen. Er verklagte die Kommune auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Landgericht und das Oberlandgericht wiesen die Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld ab. Nach Rechtsprechung des BGH ist ein Baum, der am Rand eines an einer öffentlichen Straße angrenzenden Waldgrundstücks steht, nur dann der Straße zuzuordnen, wenn er Eigentümlichkeiten aufweist, die ihn vom Waldsaum abheben. Solange er unauffällig im Wald steht, erstreckt sich die öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht des Straßenbauträgers nicht auf ihn.

BGH, Urteil v. 19.01.1989, III, ZR 258/87 sowie Urteil vom  30.06.2023, Oberlandesgericht Hamm 1 U 51/22.


Umweltschutzorganisationen klagen gegen Greenwashing der EU

19.04.2023 (ah) Der BUND klagt mit den Umweltorganisationen ClientEarth, Transport & Environment und WWF gegen das im Juli 2022 von dem EU-Parlament mit deutlicher Mehrheit befürwortete Finanz-Öko-Label für Atom und Gas. Fossiles Gas und Atomkraft sind in einer Taxonomie für nachhaltige Investments am falschen Platz. Mit Beginn der Diskussion im Jahr 2021 wurden die Politiker mehrfach von Bürger- und Umweltorganisationen aufgefordert und gedrängt, das Ansinnen nicht umzusetzen bzw. sich dagegen zu wehren, z.B. mit einer Klage, von der Bundesregierung eingereicht.

Mit der Entscheidung des EU-Parlaments sind längst nicht alle einverstanden. Luxemburg und Österreich hatten bereits im Sommer 2022 angekündigt, gegen die Aufnahme von Gas und Atom in die EU Taxonomie zu klagen. Nach Meinung von Rechtsexpert*innen verstößt der Beschluss gegen die in der Taxonomie festgelegte Umwelt- und Klimaschutzkriterien und hebelt zudem demokratische Entscheidungsprozesse aus. Selbst die Finanzwirtschaft ist irritiert, denn sie legt für ihre eigenen Öko-Labels strengere Maßstäbe an.

Der BUND bezeichnet den Vorgang in dem EU-Parlament als “ dreistes Greenwashing“ Die EU-Kommission verstößt mit dem Beschluss gegen ihr eigenes Klimagesetz und die Taxonomie-Verordnung. Die gemeinsame Klage wurde vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Mit einer ersten Anhörung sei in der zweiten Hälfte von 2024, mit einem Urteil Anfang 2025 zu rechnen, schreibt der BUND auf seiner Website. Mehr


Pellets – kein Segen für die Energiezufuhr

18.04.2023 (ah) Holz für Pellets, eine angeblich erneuerbare Energie, hochsubventioniert, wenn europäische Kohlekraftwerke auf Pellets umstellen. Ein Irrweg, wie sich zunehmend zeigt:, In der EU wird insgesamt inzwischen mehr abgeholzt als nachwächst, noch nicht in Deutschland.

In Estland werden 10 bis 12 Millionen Kubikmeter Holz jedes Jahr eingeschlagen. Mehr als die Hälfte davon für Brennholz. Im Südosten von Estland, nahe an dem Dorf Osula, steht eine neue Pelletfabrik. Das Unternehmen Graanul ist der größte Pellethersteller in Europa und gehört einem US-Investmentfond. Dänemark, Niederlande und Großbritannien sind die wichtigsten Abnehmer dieser Fabrik. Graanul hat insgesamt elf Fabriken in Estland, Lettland und Litauen. Hier werden etwa 2,5 Millionen Tonnen Pellets pro Jahr produziert.

Birken, Kiefern, Eschen, Eichen alles wird abgeholzt, sogar in Naturschutzgebieten und auch in der Brutzeit. Anderthalb Meter tiefe Entwässerungskanäle werden angelegt, um Erntemaschinen den Zugang zu erleichtern. Sie lassen den Waldboden austrocknen. Einerseits wird der Boden aufgerissen und setzt so große Mengen CO2 frei, andererseits verdichten bis zu 15 Tonnen schwere Maschinen den Waldboden. Kahlschlagflächen entstehen. Zahllose Säugetiere, Amphibien, Insekten und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum. Bis hier wieder etwas wachsen kann vergehen Jahre oder Jahrzehnte, Untersuchungen dazu gibt es kaum.

Liina Steinberg, Umweltaktivistin und Leiterin der Organisation „Rettet Estlands Wälder“ klagt nun vor estnischen Gerichten, um die Abholzungen in ‚Natura 2000‘Gebieten ohne Umweltverträglichkeitsprüfungen generell verbieten zu lassen.

Kahlschlag für Holzpellets von Thomas Kruchem, Bayern 2, 30. März 2023, 10:05 Uhr


BUND Landesverband NRW klagt gegen Amazon in Horn-Bad-Meinberg

27.03.2023 (ah) In NRW, Kreis Lippe entsteht ein neues Logistikzentrum des US-Konzern Amazon. 23 Hektar von überwiegend landwirtschaftlich genutzter Flächen werden dafür komplett versiegelt. Allein die Gebäude-Grundfläche umfasst eine Fläche von mehr als fünf Hektar. Die Bevölkerung befürchtet negative Veränderungen in der Region, z.B. Beeinträchtigungen des Natur- und Wasserhaushalts und hohe Belastungen durch das zusätzliche Verkehrsaufkommen, LKW’s und Autos. Viele Anwohner haben sich gegen eine Bebauung gewehrt, dennoch hat der Stadtrat das Projekt genehmigt. Der BUND teilt die Befürchtungen der Anwohner und hat nun einen Antrag auf Normenkontrolle bei dem OVG Münster gestellt. Mehr

Unverständlich ist für viele Bürger, dass die Stadt Horn-Bad Meinberg mit einem Konzern Geschäfte macht, der weltweit in der Kritik steht, aufgrund unseriöser Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter. Glaubt eine Kleinstadt mit 17.250 Einwohnern, sie könne den Unternehmerriesen im Zaum halten? Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) hat gerade einen Amazon-Besuch in Winsen/Luhe (Kreis Harburg) abgesagt. Amazon wollte nicht, dass die Medien über das geplante Treffen informiert werden. Die Staatskanzlei lehnte dies ab, worauf Amazon um eine Verschiebung des Termins bat. Ministerpräsident Weil lehnte das ab. Zu mutmaßen ist, dass Amazon befürchtete, Weil und die Medien könnten das Verhältnis von Amazon zu den Betriebsräten thematisieren. Gerade in letzter Zeit hatten sich gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Betriebsräten und Amazon gehäuft, so auch am Standort Winsen/Luhe. Ministerpräsident Weil erklärte: Betriebsräte, und Mitbestimmung gehören zu den tragenden Säulen der Arbeits- und Sozialordnung., berichtete die Lippische Landes-Zeitung (Landeschef Weil im Streit mit Amazon, LZ, 25./26.03.2023, Seite 6).

Des weiteren kündigt Amazon gerade vielen Mitarbeitern. Anfang 2023 wurde 18.000 Mitarbeitern von den rund 1,5 Millionen Beschäftigten bei Amazon gekündigt. Nun im März erfolgt eine zweite Kündigungswelle, 9.000 Mitarbeiter verlieren ihren Job. Der Konzernchef Andy Jassy informierte die Belegschaft über E-Mail. Er erklärte den Stellenabbau mit einer „ungewissen Wirtschaftslage“. Wie andere Firmen hatte auch Amazon in der Coronapandemie eine Einstellungsoffensive gestartet, weil die Menschen vermehrt im Internet eingekauft hatten. Die Beschäftigungsanzahl betrug im Jahr 2019 in Voll- und Teilzeit 800.000 im Jahr 2021 1,6 Millionen. Nun stellt sich heraus, dass sich der Konsum im Internet normalisiert. Damit sind viele Amazon-Mitarbeiter zu viel. Der Konzern braucht sie nicht mehr. Warum in dieser Phase der „ungewissen Wirtschaftslage“ nun neue Standorte mit neuen Arbeitsstellen, wie in Horn-Bad Meinberg benötigt und geschaffen werden, ist nicht ganz verständlich. Möglicherweise erfolgen entsprechende Anpassungen, die per E-Mail verkündet werden? 


DUH klagt gegen Überdüngung

16.02.2023 (ah) Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat Anfang dieser Woche eine weitere Klage eingereicht, gegen die Länder Niedersachsen und NRW, um die Überdüngung zu stoppen. Die deutsche Düngepolitik orientiert sich nicht am Schutz der Biodiversität.

Was nützen Strategien und Beschlüsse, wenn sie missachtet werden, z. B. die Strategie der EU „Farm to Fork“ oder die Vereinbarungen der Weltnaturkonferenz in Montreal im Dezember 2022. Die EU-Kommission droht der Bundesregierung mit einem Vertragsverletzungsverfahren, weil gegen die Nitratrichtlinie verstoßen wird.

Die EU-Kommission hat Bund und Länder aufgefordert, die nitrat- und phosphatbelasteten Gebiete neu auszuweisen. Die daraufhin im Juni 2022 vorgelegte Anpassung von der Bundesregierung enttäuscht. Sie enthält viele Schlupflöcher. Nun drohen hohe Strafzahlungen. Wer zahlt sie? Der Steuerzahler.

Die DUH fordert von den Bundesländern:

  • deutliche Reduktion der Tierzahlen sowie eine flächengebundene Tierhaltung
  • bedarfsgerechte Düngung
  • mehr Raum für Gewässer mit Auwiesen statt Ackerfläche
  • fachliche und finanzielle Unterstützung für Bäuerinnen und Bauern bei einem Übergang zu einer kleinbäuerlichen, bienenfreundlicheren, ökologischen Landwirtschaft, die den Erhalt der Artenvielfalt fördert.

Die Deutsche Umwelthilfe klagt für das konsequente Einhalten der Artenschutzvorgaben. Die Lobby der Agrarindustrie ist aufgefordert ihr Handel zu ändern. Wer unterstützen will, kann das z.B. mit einer Bienenpatenschaft.


DUH verklagt NRW Gewässer zu hohe Qecksilberbelastung

10.02.2023 (ah) Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat Anfang Dezember 2022 Nordrhein-Westfalen verklagt. Aufgrund zu hoher Quecksilberbelastungen für im Wasser lebende Organismen z.B. Fische, in Gewässern von Rhein, Main und Weser wurde Klage bei dem Oberverwaltungsgericht Münster eingereicht (AZ: 20D 205/22.AK).

Bei Bad Honnef am Rhein wurde der Quecksilberwert um das elffache überschritten, erklärte die DUH. Die Freisetzung von gesundheitsschädlichem Quecksilber erfolgt vorwiegend durch Kohlekraftwerke, deren Abgasreinigungsanlagen nicht ausreichend sind.

Eine weitere Klage bezüglich einer schlechten Wasserqualität wurde gegen Niedersachsen, Baden-Würthemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen eingereicht (AZ 20 D206/22 AK). Nach den europäischen Wasserrechten sind die Bundesländer verpflichtet die Grenzwerte für Quecksilber einzuhalten.

Unterstützt werden die Klagen von der internationalen Umweltorganisation Client/Earth/Anwälte der Erde.


EuGH-Urteil: Notfallzulassungen für Neonicotinoide rechtswidrig

8.02.2023 (ah) Am 19.01.2023 urteilte der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über den Einsatz von Neonicotinoide per Notfallzulassungen. Seit mehreren Jahren sind Neonicotinoide in der EU verboten. Dennoch gibt es sie weiterhin auf europäischen Äckern, weil viele Mitgliedstaaten das Verbot durch sog. Notfallzulassungen umgehen. Neonicotinoide sind gefährlich für Bienen und andere Bestäuber. Deshalb hat der EuGH nun dieses Gesetzeslücke geschlossen.

2019 hatten die Umweltorganisationen Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Europe) und Nature & Progrès Belgium sowie ein Imker aus Belgien beim belgischen Verwaltungsgericht die Klage eingereicht.

Das EuGH-Urteil erlaubt den EU-Mitgliedsstaaten nicht, „das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zur Behandlung von Saatgut sowie das Inverkehrbringen und die Verwendung von mit diesen Produkten behandeltem Saatgut zuzulassen, wenn das Inverkehrbringen und die Verwendung von mit diesen Produkten behandeltem Saatgut ausdrücklich mit einer Durchführungsverordnung untersagt wurden.“

Die Aussaat von Saatgut, welches mit Neonicotinoiden behandelt wurde, ist demnach unzulässig.

Der EuGH beruft sich u. a. auf das europäische Vorsorgeprinzip. Es stellt klar, dass bei der Erteilung einer Pestizidzulassung die Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Schutz der Umwelt wichtiger sind als das Ziel, die Pflanzenproduktion zu verbessern. Der EuGH betont, dass die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bekämpfung von Schädlingen mit geringem Pestizideinsatz zu fördern. Das bedeutet: Wo immer es möglich ist, müssen nicht-chemische Methoden angewandt werden. Praktiken und Produkte mit dem geringsten Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt sollen genutzt werden.

Wirkung von Neonicotiniode

Neonicotiniode werden als Beize für Saatgut eingesetzt. Neonicotinoide wirken systemisch. Das Saatgut wird mit dem Giftstoff ummantelt. Beim Keimen nehmen es die Pflanze auf und verteilen es von der Wurzel bis in den Nektar und Pollen. Pflanzen scheiden über die Blätter sog. Guttationswasser aus. Darin sind die Gifte nachweisbar und zwar nach mehr als 200 Tage nach der Aussaat in noch hohen Konzentrationen. Insekten nehmen Tröpfchen vom Guttationswasser auf und können so durch enthaltenen Gifte geschädigt werden. Die zur Beize genutzten Neonicotinoide verbleiben im Boden und können auch von blühenden Unkräutern im Zuckerrübenbestand und von Nachfolgekulturen aufgenommen werden. Das führt zu weiteren Problemen.

Notfallzulassungen

Notfallzulassungen sind auf 120 Tage begrenzt und werden erteilt „wenn eine Gefahr anders nicht abzuwehren ist“. Verbände, Behörden, Firmen und Pestizid-Herstellern können sie beantragt. Zuständig ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Die Genehmigung erfolgt in diesem Fall ohne Bewertung der Umweltgefahren durch das Umweltbundesamt. Solche Genehmigungen für ein Pestizid wurden oftmals leider jedes Jahr aufs Neue erteilt. Das Urteil beendet nun dieses Vorgehen. EuGH-Urteil Notfallzulassungen von Neonicotiniode

Mehr Umweltinstitut München


„Pestizidtirol“ und was darauf folgte

26.01.2023 (ah) Das Umweltinstitut München e.V. machte im Jahr 2017 von sich reden. Mit einer Kampagne „Pestizidtirol“ wollte das Institut auf den übermäßigen Gebrauch von Pestiziden beim Obstanbau in Südtirol aufmerksam machen. Was drei Jahre nach dieser Aktion folgte gleicht einem Krimi.

Arnold Schuler, Landesrat für Landwirtschaft Südtirol, stellte Strafanzeigen gegen sechs Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts sowie gegen Karl Bär, damaliger Referent für Agrar- und Handelspolitik im Umweltinstitut. Er warf den Institutmitarbeiter:innen „üble Nachrede zum Schaden der Südtiroler Landwirtschaft“ und Markenfälschung vor (durch die Verfremdung der Dachmarke „Südtirol“ zu „Pestizidtirol“). Schuler gewann 1.375 Landwirt:innen, die sich seiner Anzeige anschlossen. Dazu nutzte er die Südtiroler Obstgenossenschaft, die zuständig für die Vermarktung der Äpfel ist.

Angezeigt wurden auch der österreichische Autor Alexander Schiebel und Jacob Radloff (Verleger des oekom verlags, München). Schiebel hatte das Buch „Das Wunder von Mals“ geschrieben und einen Dokumentarfilm dazu gedreht. Mals im Vinschgau erklärte sich im Jahr 2014 per Bürgerreferendum zur ersten pestizidfreien Gemeinde Europas. Die Obstbauern verzichten auf den Einsatz von Pestiziden und machen vor wie das funktionieren kann. Das Buch thematisiert dieses Begebenheit und kritisiert den Pestizideinsatz in Südtirol.

Das gefiel Arnold Schuler und der Obstlobby schon damals nicht. Sie verklagt die lokalen Anti-Pestizid-Aktivist:innen aus Mals im Vinschgau und sahen nun erneut mit einer weiteren Klage die Gelegenheit den Pestizid-Kritiker Einhalt zu gebieten, sie mundtot zu machen. Der Kläger-Anwalt Canestrini stellte den Beklagten Haftstrafen und Schadenersatz in Millionenhöhe in Aussicht.

Klagen dieser Art werden bezeichnet als SLAPPs, die Abkürzung für: Strategic Lawsuits against Public Participation). Übersetzt bedeutet das eine strategische Klage gegen die öffentliche Beteiligung. Die Abkürzung SLAPPs wurde absichtlich gewählt, weil sie mit dem englische Wort „slap“ (Ohrfeige) korrespondiert. SLAPPs sind rechtsmissbräuchliche Klagen, mit denen Kritiker:innen eingeschüchtert werden sollen, um deren Kritik aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Bildlich ist eine öffentliche Ohrfeige passend, die demütigend wirkt und die Kritiker zermürben soll.

Bei derartigen Klagen geht es nicht darum Recht vor dem Gericht zu erhalten, sondern um aufwendige und lange Gerichtsverfahren, die die Gegenseite deprimieren und zum Schweigen bringen sollen. SLAPPs sind kurz gesagt Zermürbungstaktiken und Schmutzkampangen gegen Kritiker:innen, unter dem Deckmäntelchen einer Klage.

Bezogen auf die erhobenen Klagen gegen das Umweltinstitut funktionierte das Ansinnen der Zermürbung nicht. Die Verfahren in den Pestizidprozessen (Beginn am 15.09.2020) wurden nach und nach eingestellt:

  • Das Verfahren gegen die Vorstandsmitglieder des Umweltinstituts und den Geschäftsführer des oekom-Verlags wurde bereits einen Monat nach Prozessauftakt eingestellt.
  • Arnold Schuler und die zwei Vertreter der Obstgenossenschaften zogen im Mai 2021 ihre Nebenklägerschaft zurück.
  • Der Freispruch des Autors Alexander Schiebe erfolgte ebenfalls im Mai 2021, noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens. In der Begründung des Gerichts hieß es: Der Tatbestand der üblen Nachrede in den beanstandeten Passagen im „Wunder von Mals“ liegt nicht vor.
  • Der letzte Landwirt zog seine Anzeige am 28. Januar 2022 zurück.
  • Den Vorwurf der Markenfälschung verfolgte die Staatsanwaltschaft als Offizialdelikt weiter, auch ohne Kläger:innen. Karl Bär musste sich hierzu verantworten.

Bis das Umweltinstitut von dem Vorwurf der üblen Nachrede befreit war, dauerte es ab dem Prozessauftakt fast anderthalb Jahre. Das Verfahren zum Thema Markenfälschung endete im Mai 2022 mit einem Freispruch für Karl Bär. Dieses Beispiel zeigt, dass Kritiker:innen einen langen Atem benötigen, bis erhobene Vorwürf in Form von Klagen vom Tisch sind. In diesem Fall erwiesen sich alle Vorwürfe als Fake-Vorwürfe.

Gegen derartige Einschüchterungsklagen muss vorgegangen werden. Deshalb haben das Umweltinstitut, mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Journalist:innen-Union in ver.di gemeinsam eine Studie in Auftrag gegeben, die die SLAPP-Problematik und deren Ausmaß in Deutschland untersucht.

Im Zuge der Klageverfahren verfügte die Staatsanwaltschaft, dass die Betriebshefte der beteiligten Landwirt:innen als Beweismittel eingezogen werden. Darin sind die genauen Pestizidmengen festgehalten, die sie auf ihren Feldern versprühen. Schon damals erklärten die Pestizid-Kritiker, dass das Datenmaterial nicht geheim gehalten werden würde. Nun sind die Daten ausgewertet und veröffentlicht. Mehr


BUND verklagt Bundesregierung

24.01.2023 (ah) Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung und der Deutschen Presse-Agentur verklagt der BUND die Bundesregierung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, weil sie nicht genug tut, um die Klimaschutzziele einzuhalten. Mehrere Ministerien würden Rechtsverstöße begehen, da sie nicht innerhalb von drei Monaten wie gesetzlich festgelegt, wirksame Sofortprogramme erlassen, wenn die zulässigen Emissionen überschritten werden.

Im Jahr 2021 betraf das u.a. das Verkehrsministerium. Die Emissionen, für die das Ministerium zuständig ist, überschritten das Ziel um drei Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das Verkehrsministerium entwickelte zwar ein Sechs-Punkte Programm, welches aber als unwirksam von dem von der Regierung eingesetzten Expertenrat für Klimafragen, zurückgewiesen worden war. Das Verkehrsministerium ließ durch eine Sprecherin mitteilen, dass die Lücke in den nächste Jahren überkompensiert werden würde. Ein fragliches Argument, welches derzeit wohl kaum zu belegen ist.

Deutschland erreichte sein Ziel, bis 2020 insgesamt 40 Prozent an Treibhausgasen einzusparen im Vergleich zu 1990, nicht. Das Ziel wurde auch nicht im Jahr 2021 erreicht und wohl auch nicht im Jahr 2022, nach vorläufigen Berechnungen der Denkfabrik Agora. Vor allem in den Bereichen Verkehr und Gebäude klafft eine Lücke. Darauf hatte auch schon der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung hingewiesen. 

Arne Fellmann, Abteilungsleiter Klimaschutz beim BUND, erklärte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die Klimaproteste in der Öffentlichkeit kriminalisiert werden, die Regierung sich selbst aber nicht an Gesetze halten würde. Die Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Franziska Heß, wird den BUND vor Gericht vertreten. Sie hat bereits mehrere Umweltklagen begleiten, u.a. auch die erste erfolgreiche Umweltverfassungsbeschwerde im April 2021 vor dem Bundesverfassungsgericht.

Franken Post ; dpa-Meldung, 24.01.2023, 02:23 Uhr

Umweltschützer verklagen Bundesregierung, Süddeutsche Zeitung, 24.01.2023, Seite 1


Bund Naturschutz lässt Klagerecht klären, hat Erfolg

26.01.2023 (ah) Das Ergebnis ist da! Das Bundesverwaltungsgericht stärkt das Klagerecht von Naturschutzverbänden. Klagen von Naturschutzverbänden gegen Bauprojekte dürfen von Gerichten nicht für ungültig erklärt werden, weil ein Bauprojekt bereits fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde. Die Gerichte müssen über derartige Klagen entscheiden, auch wenn der Bau weit fortgeschritten ist. Auch nachträglich können Umweltverbände so noch Verbesserungen für den Naturschutz erringen. Die Klage zur Therme am Bodensee muss noch einmal aufgerollt werden.

Naturschutzorganisationen nehmen zunehmend ihr Klagerecht wahr, um die Natur zu schützen. Über die vergangenen Jahre war diese Entwicklung eindeutig zu beobachten. In der Süddeutschen Zeitung findet sich die Information, dass der BN-Jurist Peter Rottner derzeit 50 Rechtsverfahren betreut, darunter mindestens 30 Klagen.

24.01.2023 (ah) Der Bund Naturschutz (BN) ist vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gezogen. Heute wird verhandelt. Der BN will klären lassen, ob Umweltverbände ein Klagerecht gegen Baugenehmigungen und Baupläne haben und damit Baumaßnahmen gestoppt werden können, bevor die Bagger ihre Arbeit beginnen und Umweltzerstörungen entstehen.

Anlass ist der Bau einer Therme am Bodensee in unmittelbarer Nähe zu einem europäischen Vogelschutzgebiet, einem Naturschutzgebiet sowie einem europäischen Flora und Fauna (FFH) Gebiet. Die Therme selbst liegt in dem Landschaftsschutzgebiet „Bayerisches Bodenseeufer“. 2021 wurde das 45 Millionen teure Projekt in Betrieb genommen. Die Bürger in Lindau hatten sich im Jahr 2017 per Bürgerentscheid für den Bau der Therme ausgesprochen.

Der BN hatte im Eilverfahren geklagt: Einen Baustopp lehnten das Verwaltungsgericht (VG) in Augsburg sowie der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München ab. Begründung: Nach dem Umwelt-Rechtsbehelfgesetz habe der BN keine Klagebefugnis gegen Baugenehmigungen. Andere Verwaltungsgerichte in Bayern sehen ähnliche Fälle auch anders und urteilen anders. Der BN klagte ein weiteres Mal und zwar gegen den Bebauungsplan der Therme. Die Arbeiten an der Therme gingen inzwischen weiter. Beide Gerichte, VG und VGH lehnten die Klage erneut ab mit der Begründung: Die Bauarbeiten seien so weit fortgeschritten, dass sich die Klage erübrigt habe.

Der BN kritisiert, dass die Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung des Bebauungsplans, der Aushändigung der Baugenehmigung an den Bauherren und er Beginn der Bauarbeiten extrem kurz war – zu kurz, um das Projekt gerichtlich zu verhindern. Der Bebauungsplan mit Satzungsbeschluss wurde am 24.02.2018 im Amtsblatt der Stadt Lindau veröffentlich, ein Samstag. Am selben Tag erhielt der Bauherr um 6:45 Uhr die Baugenehmigung ausgehändigt, wohl gemerkt auf einem Samstag, an dem die Behörden normalerweise nicht arbeiten. 20 Minuten später wurden mit Polizeischutz die ersten100 Jahre alten Eichen gefällt. 

Aus Sicht des BN untergraben die Urteil den Handlungsspielraum der Umweltschutzverbände. Behörden und Bauherren arbeiten Hand in Hand, wenn nötig auch an Wochenenden, wie das Beispiel zeigt. Dann schaffen Sägen und Bagger Fakten, die dazu führen Klagen ins Leere laufen zu lassen. Machen solche Beispiele Schule haben Umweltschutzverbände kaum eine Chance Bauvorhaben aus Natur- und Umweltschutzgründen zu bewerten, ggf. dagegen zu klagen und zu mindestens vorläufig zu stoppen, bis ein rechtsgültiges Urteil ergehen konnte.

Umweltorganisationen berufen sich auf das Jahr 1989, auf die von 47 Staaten (u.a. alle EU-Staaten) geschlossene Konvention von Aarhus. Der völkerrechtliche Vertrag sichert Einzelpersonen und Umweltorganisationen den Zugang zu weitreichenden Umweltinformationen und ein Klagerecht in Umweltangelegenheiten zu. Diesen Vertrag hat auch Deutschland unterzeichnet.

Der Jurist Peter Rottner (Fachanwalt für Verwaltungsrecht), Landesgeschäftsführer BN, Regensburg und Stiftungsvorstand BN, vertritt die Klage.

Umweltverbände gestärkt, Süddeutsche Zeitung, 26.02.2023; Seite R10

Naturschützer kämpfen um ihren Einfluss, Süddeutsche Zeitung, 24.01.2023, Seite R7

Pressemeldung BN 20.01.2023

 


2022

 

Streuobstwiese gerodet – NABU reicht Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Landratsamt ein

9.12.2022 In Bretten-Gölshausen (Kreis Karlsruhe) wurde eine Streuobstwiese mit über einhundertjährigen alten Obstbäumen gerodet, für die Erweiterung eines Gewerbegebietes. Die Genehmigung hatte das Landratsamt erteilt. Der NABU war zuvor nicht rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt worden. Deshalb konnte der NABU nicht mehr rechtzeitig adäquat juristisch gegen die Fällaktion vorgehen. Es bliebt nur noch einen Eilantrag, unmittelbar nach Erhalt der Nachricht vor dem Gericht zu stellen, was der NABU damals tat. Das Gericht stoppte die Rodung vorerst, noch am gleichen Nachmittag. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 39 der 40 alten Streuobstbäume gefällt. Der Naturschutzbund Baden-Württemberg (NABU) reichte daraufhin Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Landratsamt Karlsruhe ein. Vertreten wird der NABU durch den Rechtsanwalt Dirk Teßmer. Inzwischen beschäftigt sich auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem Fall. SWR-Bericht

 


Amtsgericht Flensburg – Freispruch: Waldbesetzung fällt unter Rechtfertigenden Notstand

7.11.2022 (ah) Das Flensburger Amtsgericht sorgte heute für eine ziemliche Überraschung und sprach einen Aktivisten aus dem Kontext des Bahnhofswaldes frei. Als Begründung zog die Richterin den § 34 StGB heran, den rechtfertigenden Notstand.

Der Person wurde vorgeworfen auf dem Grundstück der Firma JARA Immobilien einen Hausfriedensbruch begangen zu haben. Dies bestätigte die Richterin Fr. Buchenau, hielt das Mittel der Besetzung und den damit verbundenen Hausfriedensbruch allerdings für angemessen, um sich gegen den Klimawandel und die Vernichtung eines innenstädtischen Waldes einzusetzen, und urteilte nach knapp 3 ½ Stunden Verhandlung mit einem Freispruch. Sie fügte allerdings auch schon hinzu, dass die Staatsanwaltschaft wohl in Berufung gehen werde. Diese hatte 15 Tagessätze gefordert.

Im Herbst 2020 war ein kleines Waldstück am Flensburger Bahnhof besetzt worden, um dort den Bau eines Parkhauses und eines Hotels zu verhindern. Der Wald sollte erhalten, das unnötige Bauvorhaben gestoppt werden.

Im Februar 2021 wurde das Gelände schlussendlich geräumt, nachdem eine private Sicherheitsfirma im Auftrag der Investoren den Wald umzäunt hatte, um Baumfällern das Ansägen und Fällen der Bäume zu ermöglichen. Dabei befanden sich zum Teil noch Menschen in den Baumhäusern. Auch die Gefahr für die Sicherheitskräfte der engagierten Firma fiel neben der Profitgier der Investoren nicht weiter ins Gewicht. Nachdem die Polizei die Fällarbeiten erst unterbunden hatte, räumte sie einen Tag später das Gelände selbst und berief sich dabei auf den Verstoß gegen eine für die Woche geltende Ausgangssperre.

Der heutige Freispruch berief sich auch auf das Bundesverfassungsgericht, welches der Bekämpfung des Klimawandels Verfassungsrang einräumte. Das Urteil in Flensburg stellt sich gegen die immer lauter werdenden Stimmen, der Aktivismus der Klimagerechtigkeitsbewegung müsse härter bestraft werden. Eine Richterin, die der Meinung ist, die Regierung tue zu wenig für das Klima und eine Besetzung sei eine legitime Protestform, ist zwar kein Grund in ausschweifenden Jubel auszubrechen, aber trotzdem ist das Urteil ein unerwartetes Zeichen für mehr Klimaschutz.

Für Nachfragen: rodung@nirgendwo.info

 


OVG Münster: Naturschutz steht über Freizeit und Kultur

7.08.2022 (ah) Im Kreis Steinfurth hatte in Greven (Münster) in den Flussauen der Ems eine Beachbar eröffnet, ohne offizielle Genehmigung . Sie lag in einem Naturschutzgebiet. Der Naturschutzbund (NABU) stellte einen Verstoß gegen Verbote im geltenden Landschaftsplan fest und wendete sich an das Verwaltungsgericht Münster. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag von NABU Recht. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster schloss sich dem Urteil an und beschloss, das die Nutzung einer Beachbar in den Auen der Ems untersagt werden muss (Beschluss vom 5.08.2022, AZ.: 21 B 863/22). Die Stadt Greven hatte zweifelsohne von der illegal betriebene Beachbar gewusst. Die Stadt habe keine Gründe vorgetragen, die das OVG an dem Urteil des Verwaltungsgericht hätten zweifeln lassen. Der Beschluss des OVG ist nicht anfechtbar. 

 


BUND: A20 – Erster Bauabschnitt per Klage gestoppt

11.07.2022 (ah) Die A20, die Küstenautobahn, von Umweltschützern als eines der umweltschädlichsten Neubaupro­jek­te der Bun­des­republik bezeichnet, weil die Strecke durch für den Natur- und Klimaschutz wichtige Moor- und Marschgebiete führen soll, ist gestoppt. Der BUND hatte vor über vier Jahren Klage eingereicht. Am 7. Juli 2022 erklärte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Planfeststellungsbeschluss für ein erstes Teilstück zwischen Westerstede und Jaderberg für rechtswidrig und nicht vollziehbar (Az.: BVerwG 9 A 1.21). 

80% der A20-Trasse sollen durch tiefgründiges Moor und Marschland führen. Bekannt ist, dass das Moor so viel CO2 speichern wie kein anderes Ökosystem. Bereits durch die ersten beiden Bauabschnitte der A20 würden 450.000 Tonnen CO2 frei. Hinzu kommen CO2-Emissionen, die das trockengelegte Moor zukünftig nicht mehr binden kann.

Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (zuständig für: Straßenplanung, Flurbereinigung, Abgabenrecht) bemängelte in seinem Urteil, die Stickstoffberechnung für das Fauna-Flora-Habitat-Gebiet 434 Garnholt (Kennung, EU-NR.: DE-2713-332). Den Planern sei ein Fehler unterlaufen, ein Schwellenwert könnte überschritten werden, u.a. wohl deshalb, weil die Stickstoffberechnung sehr auf Kante genäht war, erklärte die Vorsitzende Richterin. Eine Beeinträchtigung des FFH-Gebiets kann somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die niedersächsische BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner zeigte sich erfreut aber kritisierte, dass das Gericht den Klimaschutz und Bedarf „in keinster Weise berücksichtigt“ habe. Das Bundesverwaltungsgericht hatte allerdings geprüft, ob das am 18. Dezember 2019 in Kraft getretene  Klimaschutzgesetz (KSG)  berücksichtigt werden musste. Der Planfeststellungsbeschluss für den A20 stammt aus dem Jahr 2018. Zu der Zeit war das Gesetz noch nicht in Kraft gewesen. Bei den noch laufenden Planungen für weitere Teilstücke sehe das anders aus: Für weitere Abschnitte der A20 wird das Klimaschutzgesetz gelten, sagte die Vorsitzende Richterin.

Deutschland hat eines der dichtesten Straßennetze weltweit. Die PKW-Anzahl nimmt zu und damit der Schadstoffausstoß und Verkehrslärm unter denen die Menschen und die Umwelt leiden. Dennoch sind über 1.300 neue Fernstraßenprojekte bis 2030 vorgesehen. Wälder und Moore sollen dafür zerstört werden. Der von Sponsoren unabhängige BUND macht sich für eine Mobilitätswende stark und sammelt dafür Spenden

Um den Bau der A20 zu stoppen gründete sich im März 2021 das „Aktionsbündnis Moor bleibt Moor“, ein Zusammenschluss verschiedener Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung aus dem Nordwesten, u.a. Bürgerinneninitiativen, Gruppen der Fridays- und Parents For Future-Bewegung, Ende Gelände, Extinction Rebellion und die Umweltverbände Nabu und BUND. 


OVG Münster: Konzerte auf Insel Grafenwerth verboten

2.06.2022 (ah) Die Insel Grafenwerth (Bad Honnef9 im Rhein-Sieg-Kreis (RSK) liegt in NRW in einen Landschaftsschutzgebiet, welches an ein FFH-Gebiet angrenzt. Der Bund Naturschutz (BUND) hatte sich gegen drei Konzerte gewandt, die in den Pfingsttagen auf Grafenwerth geplant waren. Der BUND bekam in einem Eilverfahren Recht vom Verwaltungsgericht Köln. Der RSK legte Beschwerde beim  Oberverwaltungsgericht Münster ein, welches am 3.06.2022 die Beschwerde ablehnte. Beide Gerichte sahen bei der Erlaubnis der Konzerte Verstöße gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften. Schutzgüter des Naturschutzschutzrechts könnten möglicherweise irreversibel verloren gehen, würden die Konzerte stattfinden. Die wirtschaftlichen Interessen des Veranstalters seien demgegenüber in geringerem Maße schutzwürdig. 

Der 21. Senat des OVG begründete: Die vom RSK mit seiner Beschwerde vorgebrachten Gründe geben keine Veranlassung, den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Köln zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, eine Ausnahme von den Verboten der Landschaftsschutzgebietsverordnung erfordere, dass die Maßnahmen deren besonderen Schutzzwecken nicht zuwiderliefen. Hierzu gehöre u. a. der Schutz der Böden sowie die landschaftsorientierte Naherholung. Mit diesen Schutzzwecken ließen sich Veranstaltungen in der geplanten Dimension, auf unbefestigten Flächen, über einen Zeitraum von insgesamt 9 Tagen kaum vereinbaren. Dem setzt das Beschwerdevorbringen – jedenfalls hinsichtlich des Schutzes von Böden und Naherholung – nichts entgegen (Az.: 14 L 942/22). Informationen und Urteile zu der Insel Grafenwerth:

 


Bio-Landwirt aus Lippe verklagt Weltautokonzern VW

13.05.2022 (ah) Der Bio-Landwirt und Waldbesitzer Ulf Allhoff-Cramer startet eine Klage gegen Volkswagen (VW) einen der größten Autokonzerne weltweit. Unterstützt wird er dabei von Greenpeace. Am 20.05.2022 entscheidet das Landgericht Detmold (NRW, Kreis Lippe) über die Annahme oder Ablehnung der Klage.

Die EU hat das Aus für die Verbrennungsmotoren für 2035 anvisiert, das sind noch 13 Jahre. Viel zu lang ist dieser Zeitraum finden viele Naturschützer und darunter auch Allhoff-Cramer. Er macht u.a. den Kohlendioxidausstoß verursacht durch VW dafür verantwortlich, dass seine bäuerliche Existenz auf dem Spiel steht. Allhof-Cramer ist seit Jahrzehnten aktiv im Klima- und Umweltschutz. Erst kürzlich im Juli 2021 war er beteiligt an der Gründung des „Bäuerlichen Klimabündnis NRW“.

Erodierte Böden, gesunkener Grundwasserpegel, Waldsterben durch Dürren und Borkenkäfer, Missernten, u.a. von Grünland verbunden mit einem Mangel an Futter für die Kühe, sind die Folgen von zu vielen Emissionen, die auch durch Verbrennungsmotoren entstehen. Ein Endlosspirale, zur der auch als Auslöser die zunehmende Flächenversiegelung gehört, wurde in Gang gesetzt unter der die Landwirte schon lange leiden. Kleine landwirtschaftliche Betriebe haben kaum noch Chancen zu bestehen. Immer mehr Landwirte geben ihre Höfe auf. Übrig bleiben die großen landwirtschaftlichen Betriebe, oft mit den bekannten Probleme der Massentierhaltung verbunden.

Alloff-Cramer klagt nicht den Stadt oder die Politik an. Er will mit der Klage erreichen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen von einem Unternehmen reduziert werden muss und zwar vor 2035. In seiner Klage fordert er:

  • VW darf bis 2029 nur noch maximal 25 Prozent seiner verkauften Pkw und leichten Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ausrüsten.
  • Ab 2030 soll VW keine Fahrzeuge mehr mit Verbrennungsmotoren bestücken dürfen.
  • Bis 2030 soll VW zudem seine CO2-Emissionen um 65 Prozent gegenüber 2018 senken müssen.

Die bekannte Klimaanwältin Dr. Roda Verheyen aus Hamburg wird die Klage vertreten. Die Klageschrift stützt sich auf das Bürgerliche Gesetzbuch § 1004. Hier wird ein „Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch“ gegen Störungen des Eigentums eingeräumt. Volkswagen wird in diesem Sinne als „globaler Nachbar“ gesehen, der für einen hohen Ausstoß an Kohlendioxid verantwortlich ist, mit negativen Folgen in vielen Ländern und Städten. Eben auch mit negativen Auswirkungen in Detmold und hier konkret als Existenzbedrohung für den landwirtschaftlichen Bio-Betrieb. Ulf Allhoff-Cramer klagt auf Unterlassung.

Der Klimaschutz spielt bei Urteilen eine zunehmend wichtige Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Frühjahr 2021 den Klimaschutz in das Grundgesetz integriert. Dazu wurden in Karlsruhe alle wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und der Erderwärmung sowie die notwendigen Maßnahmen dagegen detailliert aufgearbeitet. Folgen für die Landwirtschaft wurden dabei auch benannt: Seit 1961 habe die Zahl der Tage mit sehr niedrigen Bodenfeuchtewerten signifikant zugenommen. Damit hat das Landgericht Detmold eine gute Grundlage für die Verhandlung. Allerdings gibt es viele Faktoren, die eine Entscheidung erschweren  Der Verbrennungsmotor als solcher stößt keine Emissionen aus, dazu muss er in Betrieb sein, d.h. die Autos müssen von Bürgerinnen und Bürgern gefahren werden. Wer also ist verantwortlich für den Emissionsausstoß, der Produzent oder die Betreiber? Am 20.05.2022 wird das Landgericht Detmold sich damit beschäftigen müssen und entscheiden, ob es die Klage annimmt oder nicht.

  1. Bauernaufstand, Süddeutsche Zeitung, 13.05.2022, abgerufen 13.05.2022, 18:20 Uhr Der Bauer und der Weltkonzern – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de)
  2. Detmolder Biobauer verklagt VW wegen mangelnden Klimaschutzes, NW-Nachrichten, 4.05.2022, abgerufen 13.05.2022, 18:40 Uhr Detmolder Biobauer verklagt VW wegen mangelnden Klimaschutzes | nw.de
  3. Detmolder Landwirt klagt gegen Volkswagen, Tagesschau,4.05.2022, abgerufen 13.05.2022, 18:50 Uhr Nordrhein-Westfalen: Detmolder Landwirt klagt gegen Volkswagen | tagesschau.de

Klimaschutz ungenügend – Neue Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht

27.01.2022 Karlsruhe. Das im Jahr 2021 aufgrund einer Klage geänderte Klimaschutzgesetz ist nicht scharf genug. Neun junge Menschen, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe, reichten am 26.01.2022 erneut eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die 162 Seiten umfassende Begründung erklärt u.a., dass die Verschärfung des Klimagesetzes nicht weitreichend genug ist, da sich die Emissionen nur um 6,5% bis 2030 vermindern würden. Die gesamte Sachlage habe sich durch den neuen Teilbericht des Weltklimarates (IPCC) geändert: Der Klimawandel werde schneller und folgenschwerer als bisher angenommen. Der 49-jährige Jurist Remo Klinger aus Berlin reichte die Beschwerde ein und hofft auf ein Urteil Anfang 2023.


Verfassungsbeschwerden für mehr Klimaschutz

1.02.2022 Karlsruhe. Im September 2021 hatte die Deutsche Umwelthilfe in drei Bundesländern Verfassungsbeschwerden angestrengt, um schärfere Regeln für den Klimaschutz durchzusetzen. Sie wollen die Landesregierungen zu mehr Klimaschutz verpflichten. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 1.02. die Verfassungsbeschwerden zu den Länder-Klimaschutzgesetzen nicht anzunehmen. Das Verfassungsgericht klärte jedoch Sachverhalte zum Klimaschutz bezüglich des Verhältnis zwischen Bund und Ländern. In seiner Entscheidung zu den Verfassungsbeschwerden steht demnach die Bundesregierung in der Pflicht, Aufgaben für Bund und Länder im Bundes-Klimaschutzgesetz konkret zu regeln. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte zudem, dass auch die Länder zum Klimaschutz verpflichtet sind.  Artikel

 

 


 

2021

 

Prof. Dr. Pierre Ibisch und Peter Wohlleben erstatten Anzeige gegen die Forstbehörden in Rheinland-Pfalz

16.11.2021 Die Anzeige richtet sich gegen die Forstbehörden in Rheinland-Pfalz, die die Kahlschläge auf der Montabaurer Höhe zu verantworten haben.

Kahlschläge haben, bei zunehmender Trockenheit mit kurzfristigen heftigen Starkregenereignissen, eine katastrophale Wirkung auf die exponierten Flächen. Neupflanzungen sind teuer und schlagen wegen Starkregen und Hitze fehl. Die so genannte „Waldräumung“ mit folgender „Aufforstung“ schlägt allzuoft fehl. Um Wald und auch Forst zu schützen, sollten die toten, vom Borkenkäfer bestandenen, Bäume lieber stehen bleiben, da sie den Setzlingen (und selbst gesäten Jungbäumchen) Schutz und ausreichend Schatten. Die Wasseraufnahmefähigkeit der Waldfläche bleibt so weitestgehend erhalten.

Zum Video der Klageankündigung: https://fb.watch/9LjcOhjd8H/

 


Bayer-Konzern verliert vor Gericht in Seattle

13.11.2021 (ah) Bayer hat ein weiteres Verfahren verloren. Geklagt hatten Schüler, Eltern und Mitarbeiter einer Schule in Seattle wegen Gesundheitsschäden, die wohlmöglich durch die seit Jahrzehnten verbotene Chemikalie PCB verursacht sind. Die Kläger machen PCB vom US-Hersteller Monsanto für Hirnschäden und andere Erkrankungen verantwortlich. Monsanto stellt Saatgut und Herbizide her. Bayer kaufte das Unternehmen im Jahr 2016 für eine Rekordsumme von ca. 66 Milliarden Dollar und ist nun in der Verantwortung. Das Gericht sprach den Klägern ein Summe von 62 Millionen Dollar (54 Mio. Euro) als Schadensersatz zu. Bayer will in Berufung gehen.


Datteln 4 – Neue Klage gegen Bebauungsplan

22.08.2021 Vor zwölf Jahren, am 3. September 2009, erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster den Bebauungsplan der Stadt Datteln für das neue Steinkohlekraftwerk für unwirksam. Damit gab  das OVG der Klage eines Ehepaares aus Waltrop statt, welches jahrelang versuchte den Bau des Energiegiganten an diesem Standort zu stoppen. Eine Entscheidung mit Folgen. Das OVG beschäftigt sich erneut mit dem Meiler Datteln 4, der inzwischen Strom liefert. Am Donnerstag  den 26.8.2021 verhandelt das Gericht über Klagen der Nachbarstadt Waltrop, der Umweltschutzorganisation BUND sowie von vier Privatpersonen gegen den neuen Bebauungsplan. Das Urteil wird mit Spannung erwartet.

 


Deutsche Umwelthilfe initiiert drei Verfassungsbeschwerden

7.07.2021 (ah) Das Urteile des Bundesverfassungsgericht vom April diesen Jahres (s.u.) gibt den Natur- und Umweltschutzorganisationen Schwung. Nachdem das Bundesklimaschutzgesetz für verfassungswidrig erklärt wurde, sollen nun die Landesregierungen zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden. In Nordrhein-Westfalen wollen vier Kinder und Jugendliche gegen das am 1. Juli beschlossene Landesklimaschutzgesetzt klagen. In Bayern haben zehn Kinder und junge Erwachsene Klage bei dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht.  Das bayerische Klimaschutzgesetz enthält keine festgelegten Fristen und bleibt mit seinen Zielen weit hinter denen im Bundesklimaschutzgesetz festgelegten, welches zudem gekippt wurde. In Brandenburg legten sieben z. T. minderjährige Personen Verfassungsbeschwerde ein, weil ein Landesklimaschutzgesetz gänzlich fehlt. Aktivisten aus der Fridays for Future Szene sind an den Klageverfahren beteiligt, juristisch werden sie von Remo Klinger geleitet. Viele Klimaschutz-Maßnahmen, wie der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehr oder Windkraftanlagen liegen in der Entscheidungskompetenz der Bundesländer. Die Umsetzung solcher Maßnahme müssen konkretisiert werden, verlangen die Kläger.

 


Bezirksgericht Den Haag – verpflichtet Shell zu Klimaschutz

27.05.2021 (ah) Das Bezirksgericht hat den niederländischen Ölkonzern Royal Dutch Shell am 26.05.2021 zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Shell muss seine Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um mindestens 45 Prozent senken. Die Klimaschutzpflicht gilt für die eigenen Unternehmen sowie für Zulieferer und Endabnehmer. Erstmalig wird damit ein Unternehmen in dieser Form zur Verantwortung gezogen. Geklagt hatten die Umweltorganisation Milieudefensie, weitere Gruppen – und mehr als 17.000 Einzelunterstützer. Sie beklagten Shell würde gegen das Verursacherprinzip verstoßen (Artikel 6:162 im niederländischen Zivilgesetzbuch). Außerdem würde die Rechte auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt (Artikel 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention). Mehr in der taz

Globales Ranking von Verursachern der Treibhausgasemissionen durch die US-amerikanische „Climate Accountability Institute“. Sie analysierte im Jahr 2019 die Treibhausgasemissionen von Unternehmen seit 1965. Shell belegt Platz 7.

 


Bundesverfassungsgericht: Deutschlands Klimaschutzgesetz ist unzureichend

29.04.2021 (ah) Neun junge Menschen haben die deutsche Klimapolitik vom Bundesverfassungsgericht überprüfen lassen, da sie das 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz für nicht ausreichend halten. Geklagt haben Einzelpersonen und Klimaaktivisten, z.B. Lisa Neubauer (Mitbegründerin Fridays for Future Deutschland) sowie Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, Germanwatch und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Juristin und Referentin für Klimaschutzrecht, Roda Verheyen, unterstützte und vertrat neben anderen Anwälten die Kläger*innen.

Laut Deutscher Umwelthilfe reicht das deutsche Klimaschutzpaket nicht, um die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen (Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens). Die Verfassungsbeschwerden stützten sich auf die grundrechtlichen Schutzpflichten der Bundesrepublik für Leben und körperliche Unversehrtheit (Grundgesetzartikel 2 Absatz 2) sowie das Eigentumsrecht (Artikel 14 Absatz 1). Die Rechtsanwältin Roda Verheyen argumentiert, mit dem zu wenig ambitionierten Klimaschutzgesetz verletzt der Staat seiner Schutzpflicht. Ihre Mandant*innen „werden in ihrem Leben dramatische Einschränkungen durch die Klimakrise erfahren“.

Das Gericht in Karlsruhe verpflichtete nun die Bundesregierung, den Übergang zur Klimaneutralität auch nach 2030 zu regeln. 

Das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass die Menschen heute nicht so viel emittieren dürfen, so dass zukünftigen Generationen kein Raum mehr bleibt für ihr Leben, ihre eigene Freiheitsentwicklung. Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Die Auswirkungen des Klimawandels berühren Menschenrechte auf vielfältige Art und Weise. Der Rechtfertigungsdruck ist damit für den Gesetzgeber viel größer geworden. Nur abzuwägen, was für die Gegenwart wichtig ist, reicht nicht. Nach dem Urteil heißt es nun, der Wissenschaft zu folgen, sich daran zu orientieren, was die Welt, und damit die Generationen, brauchen. 

Die im Bundesklimaschutzgesetz festgelegten Ziele reichen nicht. Die Bundesregierung hatte festgelegt bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 55% gegenüber 1990 zu mindern. Das reicht nicht, sagt das Bundesverfassungsgericht. Bis Ende 2022 muss die Politik nachbessern und die Maßnahmen zum Klimaschutz für die nächsten zehn Jahre verschärfen. Schlüssige Zwischenziele, die zur Treibhausgasneutralität führen, sind zwingend notwendig. 

Weitere Klage: Seit November 2018 ist in Karlsruhe eine weitere Klage anhängig, eingereicht vom BUND, Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) sowie Einzelkläger z.B. Hannes Jaenicke (Schauspieler) und Josef Göppel (ehem. CSU-Bundestagsabgeordneter). Rechtlich wird die Klage vertreten von der Rechtsanwältin Franziska Heß (Umweltrechtexpertin), Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbH, und Felix Ekardt aus Leipzig. Die Anwälte erklärten, dass die weitgehende Untätigkeit von Deutschland die Grundrechte auf Leben, Gesundheit, Existenzminimum und Eigentum verletze. Karlsruhe müsse die Bundesregierung und den Bundestag zu mehr Klimaschutz verpflichten.

 


Sachsen, OVG Bautzen: Keine Baumfällungen ohne Verträglichkeitsprüfung

13.04.2021 Eine Anordnung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen zu dem Umgang mit Forstwirtschaft in Natura-2000-Gebieten stellt in einem Präzedenzfall klar: Mit der Ausnahme von begründeten Maßnahmen der Verkehrssicherung dürfen keine Baumfällungen ohne eine Verträglichkeitsprüfung nach Maßgabe der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) durchgeführt werden. Vor dem Eingriff sind örtliche Umweltverbände an der Prüfung zu beteiligen. Das OVG hat der Beschwerde der Vereine „Grünen Liga Sachsen e.V.“ und „Naturschutz und Kunst – Leipziger Auwald e.V.“ (NuKLA), im Verfahren gegen die Stadt Leipzig wegen deren Forstwirtschaftsplanung am 9.06.2020 stattgegeben. Vertreten hat die Beschwerde die Kanzlei Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB. Mehr unter Wohllebens Waldakademie

 


BUND Hessen: Verwaltungsgerichtshof bestätigt Baustopp für REWE

24.03.2021 (ah) Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH): Baustopp für das REWE Logistikzentrum in Wölfersheim. Den Baustopp für den Lebensmittelkonzern hatte im Juli 2020 das Verwaltungsgericht Gießen beschlossen. Die Beschwerde von REWE wurde zurückgewiesen. Das VGH hat festgestellt, dass die Teilbaugenehmigung zum Abtrag des Oberbodens nicht rechtmäßig war, da hierbei keinerlei Vorschriften des Naturschutzes aus dem Bebauungsplan aufgenommen worden waren.

Dr. Werner Neumann, Vorsitzender Kreisverband Wetterau, Vorstandsmitglied BUND Hessen: „Es darf nicht sein, dass ein Lebensmittelkonzern besten landwirtschaftlichen Boden unter Beton und Asphalt begraben darf. “

Auch die Baubehörde des Wetteraukreises ist verantwortlich. Der VGH stellte fest, dass dort ein Bauantrag eingereicht worden sei, der ein unselbständiges Teilvorhaben zur Genehmigung gestellt und damit das Vorhaben willkürlich zerlegt hat. Aus dem Urteil: (…) „Die Baugenehmigung erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil sie weder als Teilbaugenehmigung noch als gestufte Baugenehmigung noch als eigenständige Baugenehmigung hätte erteilt werden dürfen und dabei Festsetzungen des Bebauungsplans unberücksichtigt gelassen hat.“

Weiter: „Mit der rechtswidrig erteilten Baugenehmigung werden Umweltvorschriften verletzt, namentlich § 44 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 Bundesnaturschutzgesetz; dies zum einen, weil bei der als Baufeldräumung zu wertenden Genehmigung beachtliche Festsetzungen des Bebauungsplanes unberücksichtigt, zum anderen wegen der willkürlichen Bestimmung des Verfahrensgegenstandes wesentliche Umstände ungeprüft bleiben. (…)Die Baugenehmigung übernimmt keine der zwingenden artenschutzrechtlichen Regelungen unter der Nr. 6 „Artenschutz“ des Bebauungsplanes „Logistikpark Wölfersheim A 45“,

Begründung vom VGH: Baufeldräumung schafft Fakten. Dadurch könnten Feldleche, Feldhamster, Rebhuhn, Wachtel und anderen Vögeln die Flächen nicht mehr nutzen. Bei einer Beschränkung der Genehmigung auf eine Baufeldräumung ohne Anforderungen des Bebauungsplans zum Naturschutz zu beachten, würde bereits zerstört, was erst im späteren Baugenehmigungsverfahren für das Lebensmitteldistributions- und Logistikzentrums geprüft und beachtet werden müsse. Mehr

 


BUND Hessen: VG Gießen hebt Baustopp für Amazon-Halle in Echzell auf

8.02.2021 (ah) Schwerer Schlag gegen den europäischen Naturschutz. Amazon baut derzeit eine Halle inkl. Parkhaus von 128 Metern Länge, ca. 100 m Breite und 12,5 Metern Höhe. Das umstrittene Gebiet ist als EU-Vogelschutzgebiet und als FFH-Gebiet rechtlich gesichert. Durch den Bau werden weite Teile des benachbarten EU-Vogelschutzgebiets als Lebensraum für bedrohte Vögel entwerte.  

Der BUND, hatte zusammen mit der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) Klage gegen den Wetteraukreis erhoben. Sie kritisieren u.a., dass für das Bauvorhaben die im Gesetz vorgesehene FFH-Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich der Auswirkungen des Vorhabens auf die Vögel im direkt angrenzenden Vogelschutzgebiet Wetterau und dem FFH-Gebiet Horloffaue nicht stattgefunden habe. Das Gericht bestätigte dies. Im Januar 2020 legte der vom BUND beklagte Wetteraukreis eine FFH-Vorprüfung vor, erstellt von der Unteren Naturschutzbehörde des Wetteraukreises. 

Das Verwaltungsgericht Gießen kam in seinem Urteil vom 8.02.2021 zu dem Ergebnis, dass an eine FFH-Vorprüfung nicht die strengen Maßstäbe anzulegen seien, die das Gesetz für die eigentliche FFH-Verträglichkeitsprüfung fordere. Problem ist gemäß BUND, wenn die Vorprüfung weniger genau ist, dass damit erhebliche Beeinträchtigungen übersehen werden können. 

Dr. Werner Neumann, Vorsitzender Kreisverband Wetterau und Vorstandsmitglied des BUND Hessen, erklärt: „Die Entscheidung ist de facto ein schwerer Schlag gegen den europäischen Naturschutz. Wir werden genau prüfen, welche Rechtsmittel den Baustopp wieder herstellen können.“ Seltsam sei, so Neumann, dass ausgerechnet die Untere Naturschutzbehörde des Wetteraukreises, die Arbeit für den Investor übernommen hat. Dies werfe die politische Frage auf, welche Rolle der Wetteraukreis hier eingenommen hat. Mehr:

Für das Klageverfahren erhofft sich der BUND Spenden auf das Konto

Kontoinhaber: BUND Hessen 
Geldinstitut: Frankfurter Sparkasse

IBAN:  DE46 5005 0201 0000 3698 53
Verwendungszweck:
Bodenschutz Wetterau Klage Amazon Echzell 

Die Verfahrenskosten belaufen sich derzeit auf über 6.000 €. Weitere Spenden sind notwendig, damit der BUND in die Beschwerde gegen dieses unglaubliche Urteil gehen kann.

Dr. Werner Neumann berichtet zudem: “ Die nächste „Baustelle“ ist auch schon da. Nach dem REWE Logistikzentrum gegen das der BUND auch klagt, kommt nun die Planung für weitere Hallen bei Hammersbach.“ Mehr unter www.schatzboden.de .

Der BUND arbeitet in allen Fällen als bundesweiter großer Umwelt- und Naturschutzverband mit den örtlichen Initiativen zusammen, z.B. mit Bürger für Boden, Wölfersheim. Der BUND ist nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz klageberechtigt .


OVG-Beschluss – Osterholz darf gerodet werden

4.01.2021 (ah) Ein fünf Hektar großes Waldstück „Osterholz“ in Wuppertal mit  rund 1.500 Bäume,  bis zu 130 Jahre alt, soll für eine Abraumhalde der Kalkwerke Oetelshofen gerodet werden. Seit zwei Jahren kämpfen Bürger*innen, eine Bürgerinitiative (BI), Aktivisten und Baumbesetzer für den Erhalt des Waldes, der geschützten Tierarten Heimat bietet, u.a. Uhu, Waldkauz, Feldlerche, Fledermäusen, Kreuzkröte. Am 30.12.2021 teilte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster in seinem Beschluss mit, dass die Rodung zulässig ist. Eine Anwohnerin will nun Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.

Am 2.01.2021 demonstrierten erneut rund 500 Menschen gegen die Rodung des Waldstücks. Die Sprecherin Marjolein Schüter, der „BI Osterholz bleibt“ erklärte im WDR in der Sendung Lokalzeit Bergisches Land: „Es sei ein Skandal, dass das Gericht die Abholzung der alten Baumbestände als nicht klimarelevant einstufe.“ Die „BI Osterholz bleibt“ vertritt die Meinung, dass auch eine Wiederaufforstung das ökologisch wertvolle Waldstück nicht ersetzen kann. Dem ist kaum zu widersprechen, da Wald Zeit zum Wachsen braucht. Ein 130 Jahre alter Wald ist nicht einfach durch neue, junge Bäumchen zu ersetzen.

Die Kalkwerke H. Oetelshofen GmbH & Co. KG, blicken auf eine 120 jährige Geschichte zurück. Sie bauen Kalk im Tagebau ab. Der derzeit aktiv betriebene Steinbruch umfasst eine Fläche von ca. 42 Hektar und liegt zwischen Wuppertal Vohwinkel und Haan Gruiten. Die gesamte Betriebsfläche umfasst ca. 100 Hektar. Bei dem Abbau fällt unbrauchbares Material an, sogenannter Abraum, bestehend aus Feinsand, Lehm, Ton und Gestein. Der Abraum wird aufgeschüttet, so entstehen Anhöhen. Die bisherigen drei Halden, auf den Abraum aufgeschüttet wurde, haben ihre genehmigten maximalen Ausmaße erreicht. Deshalb will das Unternehmen, die Halde Oetelshofen um das angrenzende Waldgrundstück erweitern. Die Halden werden z.T. aufgeforstet und teilweise der Natur überlassen, damit sich Pflanzenbewuchs ansiedelt.

Die Familie Iseke, Inhaber der Kalkwerke, besitzen neben dem Steinbruchgelände auch einen Teil des angrenzenden 200 Hektar großen Waldgebietes, das Osterholz, das als Naherholungsgebiet dient. Von dieser Fläche möchte das Unternehmen für die Abraumhalde rund fünfeinhalb Hektar Wald roden. Dabei würden zusätzlich 3,37 Hektar Aufforstung vernichtet, eine Ausgleichsmaßnahme eines früheren Vorhabens. Die Bezirksregierung Düsseldorf hatte das Vorhaben im Mai 2021 genehmigt.

Mehrere Klagen von Anwohnern wurden eingereicht, um die Rodungsarbeiten zu verhindern. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf wies die Klagen ab, u.a. Ende Mai 2021 eine Beschwerde eines Eigentümers in einem Eilbeschluss. 

Das Kalkwerk besteht seit langem. Der Abbau prägt das gesamte Landschaftsbild der Region. Die Familie Iseke öffnet ihren Steinbruch für Besichtigungen, öffentliche Veranstaltungen, z.B. Pop-Konzerte oder Film-Drehs. Till Iseke vermarktet mit seiner Firma „DeinSteinbruch“ das Abbaugebiet. Im Jahr 2000, anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums, wurde die gemeinnützige „Stiftung Kalkwerke Oetelshofen“ gegründet, die Projekte in der Region unterstützt. Dem Familienunternehmen ist es an der Region, an den Menschen und dem Naturschutz gelegen, so sind die Inhalte der Firmenwebsite zu interpretieren. Die Auseinandersetzung mit den Bürgern bezüglich der bevorstehenden Waldrodung hat Auswirkungen. Auf der Firmenhomepage wurde ein Anwohnerform eingerichtet, in dem häufig auftauchende Fragen bezüglich der Erweiterung beantwortet werden.

Bislang wurde der Wald nicht gerodet, um die Gerichtsentscheidung abzuwarten. Das Oberverwaltungsgericht Münster folgte jetzt mit seinem Beschluss dem Verwaltungsgericht Düsseldorf. Nun wollen die Betreiber zeitnah mit der Abholzung zu beginnen, kündigten sie an. In dem 67 Seiten umfassenden artenschutzrechtlichen Fachbeitrag findet sich die Angabe: „…Beeinträchtigungen brütender Vögel bzw. den Verlust von Gelegen und Jungvögeln zu vermeiden, erfolgen der Einschlag der Gehölze und das Abschieben des Oberbodens außerhalb der Vogelbrutzeit im Zeitraum 1. Oktober bis 28. Februar.“ Damit ist das Zeitfenster benannt, bis zum 28.02. wird das Waldstück wohl gerodet werden.

Die Osterholz Baumbesetzer leisten weiter Widerstand, um den Wald und das regionale Artenreichtum zu retten. Sie bereiten sich auf eine mögliche Räumung des Waldes durch die Polizei vor. Zudem wird eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, da die Begründung des OVG Münster war, dass die Rodung von 5,5 Hektar Wald keinen Einfluss auf das Klima habe.

 


2020

Grünheide (bei Berlin) – Tesla muss Waldrodung stoppen

9.12.2020 Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erteilte am Abend des 7.12. einen vorläufigen Abholzungstopp aufgrund eines Eilantrages der Umweltverbände NABU und Grüne Liga (VG 5L 602/20). Grund für den Eilantrag war der Artenschutz. Damit keine Fakten geschaffen werden wurde der Rodungstopp für die 82,9 Hektar Wald anberaumt, den das Landesumweltamt bereits genehmigt hatte. 

 


BBIWS-Mitglied NuKLA und GRÜNEN LIGA Sachsen – Präsenzurteil erreicht

18.06.2020 (ah) Nach drei Jahren haben BBIWS-Mitglied NuKLA und die GRÜNEN LIGA Sachsen, den laufenden Gerichtsstreit zum Schutz des Leipziger Auwaldes in letzter Instanz vor dem Oberverwaltunggericht (OVG) Bautzen gewonnen.

„Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat in Sachen GRÜNE LIGA Sachsen/NuKLA ge­gen die Stadt Leipzig und deren Forstwirtschaftsplan 2018 das Urteil des Leipziger Ver­waltungsgerichtes aufgehoben und wie folgt entschieden: “Der Antragsgegnerin (Anm. Stadt Leipzig) wird im Wege der einstweiligen An­ordnung aufgegeben, es zu unterlassen, den Forstwirtschaftsplan 2018 zu vollziehen soweit dieser Sanitärhiebe, Femelhiebe/Femelungen, Schirmhiebe und Altdurchforstungen innerhalb des FFHGebiets “Leipziger Auensystem” und des Vogelschutzgebiets “Leipziger Auwald” vorsieht…” Des weiteren wurde als Bedingung für jedwede derarti­ge Eingriffe festgelegt, dass “… eine Natura-2000-Verträglichkeitsprüfung unter Beteili­gung des Antragstellers (GRÜNE LIGA Sachsen, Anm. Verf.) durchgeführt…” werden muss.“

https://www.nukla.de/

„Infolge dieser Entscheidung darf die Stadt innerhalb des weiträumig geschützten Leipziger Auwaldes von einigen Maßnahmen der Verkehrssicherung abgesehen keine Fällungen mehr durchführen, bevor sie nicht eine Verträglichkeitsuntersuchung nach Maßgabe der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH-Richtlinie) durchführt.“

https://www.baumann-rechtsanwaelte.de/2020/06/16/oberverwaltungsgericht-bautzen-stoppt-forstwirtschaft-im-leipziger-auwald/

Im Jahr 2018 hat der Europäische Gerichtshof (EuHG) in einen ähnlichen Fall entsprechend entschieden: Forstwirtschaft darf in europäischen Naturschutzgebieten nicht ohne Verträglichkeitsprüfung erfolgen.

Das Urteil vor dem OVG Bautzen gilt als  Präzedenz-Urteil für Natura-2000 geschützte FFH Wälder in Deutschland, auf das sich Waldschützer und NGOs berufen können. 

 


Niederlande – Regierung muss Treibhausgase reduzieren

20.12.2020 (ah) Den Haag – Das oberste niederländische Gericht bestätigte am 20. Dez. 2019  in dritter und damit letzter Instanz die Entscheidung eines Bezirksgerichts von 2015. Das Gericht verurteilt die Regierung dazu die Treibhausgasemissionen  des Landes um 25% im Vergleich zu 1990 zu senken. Der Klimawandel bedrohe „das Leben, das Wohlergehen und die Lebensumstände vieler Menschen in der ganzen Welt, einschließlich der Niederlande.“ sagt der Vorsitzende Richter Kees Streefkerk. „Die Folgen sind schon jetzt zu spüren.“ führte er aus. Geklagt hatte Marjan Minnesma und ihre Stiftung „Urgenda“. Die Regierung versprach das Urteil umzusetzen, sie hatte nur eine Reduktion der Treibhausgasemissionen  von 20% angestrebt.

Zum ersten Mal ist es gelungen, eine Regierung unter Berufung auf Grundrechte zu einer strengeren Klimapolitik zu zwingen. „Das ist das bisher wichtigste Klimawandelurteil weltweit„, sagte David Boyd, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Umweltschutz, „es bestätigt, dass der Klimanotstand Menschenrechte gefährdet und das reiche Nationenverpflichtet sind, die Emissionen schnell und umfassend zu reduzieren.“

Bleibt zu fragen: Müssen Gerichte einspringen, wenn Parlamente versagen? Eine Regierung darf nicht machen was sie will. Deshalb müssen Bürger und Organisationen vor Gericht ziehen können, um die Regierungen an ihre eigenen Normen zu erinnern.

Die Stiftung „Urgenda“ zog 2013 im Namen von rund 900 Bürgern vor Gericht und  forderte eine Reduktion der Emissionen um 25 bis 40%. Das Bezirksgericht Den Haag entschied es müssen mindestens 25% sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese und künftige Generationen Schaden nehmen könnten, sei so groß und konkret, das der Staat „einen angemessenen Beitrag, größer als der bisherige, leisten muss, um die Gefahr des Klimawandels zu begegnen.“ Andernfalls vernachlässigt er seine „Schutzpflicht“.

Die zweit und dritte Instanz stützten sich auf die Europäische Menschenrechts Konvention (EMRK). Sie garantiert in Art. 2 ein „Recht auf Leben“ und in Art. 8 die „Achtung des Privat- und Familienlebens“. In Deutschland würde sich das Bundesverfassungsgericht wohl nicht auf die EMRK beziehen, sondern auf das Grundgesetz.

Die niederländische Regierung reagierte konstruktiv auf das Urteil. Sie erklärte sie wolle 30 der 54 von „Urgenda“ vorgeschlagenen Umweltmaßnahmen übernehmen und dafür drei Milliarden Euro ausgeben. (Quelle: „Wenn Richter die Welt retten“, von Thomas Kirchner, SZ 27. April 2020, Seite 7)

 


Windpark Dahlem IV erneut durch Verwaltungsgericht Aachen gestoppt

18.12.2020 Der Kreis Euskirchen plante die Errichtung von vier Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils etwa 230 m in Blankenheim (Eifel-Windpark Blankenheim). Die Naturschutzinitiative e.V. (NI) reichte am 13.03.2020 Klage gegen die Genehmigung des Windparks Dahlem IV ein, aufgrund erheblicher artenschutzfachlicher Mängel. Die Deutsche Wildtier Stiftung unterstützte die Klage. Bereits am 04.06.2020 hatte das VG Aachen mit seinem Hängebeschluss zum Schutz der im Rotbachtal lebenden Rotmilane angeordnet. Die Inbetriebnahme der drei errichteten Windanlagen ist zu unterlassen. Diesem Beschluss folgte das Oberverwaltungsgericht Münster am 16.07.2020. Am 18.12.2020 bestätigte das VG Aachen seinen Beschluss im Eilverfahren.

Im Eilbeschluss heißt es sinngemäß: Die nachgewiesene hohe Frequentierung der Flächen nahe der Windenergieanlagen (WEA) durch die dort lebenden Rotmilane werde eine Erhöhung des signifikanten Tötungsrisikos für das Einzelindividuum erwarten lassen. Dies gelte gerade auch im Lichte des diffusen Flugverhaltens nicht-brütender Einzeltiere und des verspielten Flugverhalten der Jungtiere. Die „Erklärungsansätze“ des Gutachters, die eklatante Divergenz (Auseinanderstreben) zwischen den beobachteten Flügen der Rotmilane in den Jahren 2018 und 2019 im Nahbereich der geplanten WEA erachtet die Kammer des VG Aachen nach summarischer Prüfung nicht mehr als plausibel und naturschutzfachlich vertretbar.

Die vorgesehenen Abschaltzeiten in der Genehmigung bei Mahd- und Ernteereignissen seien nicht ausreichend. Dem Kreis als Genehmigungsbehörde sei es nicht gelungen, plausibel zu erläutern, aus welchen Gründen diese Abschaltungen dennoch ausreichen.

Das Gerichtes begründet das Urteil vom 18.12.2020 u.a. wie folgt: „Bei summarischer Betrachtung bestehen im Ergebnis ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheides vom 10. Februar 2020. Die Kammer hält insofern an den bereits in ihrem Hängebeschluss vom 4. Juni 2020 geäußerten Bedenken hinsichtlich des Verstoßes gegen die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG mit Blick auf den Rotmilan auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fest. …. „Mit Blick auf den Rotmilan ist nach summarischer Prüfung von einem Verstoß gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG auszugehen. …. „Dieser bundesrechtliche Verbotstatbestand ist nach ständiger ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung zudem individuenbezogen, vgl. zuletzt nur OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 – 8 A 4256/19 -, juris, Rn. 63, und als solcher einer populationsbezogenen Relativierung grundsätzlich unzugänglich. Dies ergibt sich nunmehr auch aus dem insofern klaren Wortlaut des § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG, wonach das Tötungsrisiko für Exemplare dieser Arten (nicht: die betroffene Art insgesamt bzw. die lokale Population) nicht signifikant erhöht werden darf.“

Mitglieder und Naturschützern vor Ort haben in zeitintensiver Feldarbeit die Flugbewegungen der Rotmilane erfasst und damit der Klage zum Erfolg verholfen.

 


Urteile vor 2020

Verkehrssicherungspflicht im Wald?

Eine Spaziergängerin wurde im Wald von einem abgebrochenem Ast verletzt. Der Bundesgerichtshof stellt fest: Im Wald gibt es für Waldbesitzer keine Verkehrssicherungspflicht für waldtypische Gefahren. Damit gibt es ein rechtsgültiges Grundsatzurteil, welches auch Anwendung finden kann, falls Waldbesitzer mit der „Verkehrssicherungspflicht“ argumentieren, um Abholzen zu können (BGH-Urteil, 02.10.2012 – VI ZR 311/11). Mehr